„Inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung“: So lautet der Titel des Fortbildungs- und Vernetzungsangebots für evangelische Schulen, die sich in inklusiven Schulentwicklungsprozessen befinden. Am 17. und 18.06.2022 drehte sich bei einem Netzwerktreffen unter Leitung von Frau Aenne Thurau, Schulleiterin der Grundschule „Op de Host“, alles um das Thema inklusive Schulgestaltung. Die Veranstaltung ist Teil des Gesamtvorhabens „Inklusion 2020+„, das in den Jahren 2022 bis 2024 inklusive Prozesse auf verschiedenen Ebenen an Schulen in evangelischer Trägerschaft unterstützt und begleitet. Das Netzwerktreffen lädt evangelische Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet dazu ein, sich (besonders) in den ersten Jahren nach ihrer Neugründung mit anderen Schulgestalter*innen zu vernetzen und gemeinsame Entwicklungsschritte zu gehen. Gerade in den Anfangsjahren stehen die meisten Schulen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, bei denen wir sie unterstützen möchten – inhaltlich sowie organisatorisch. Im Rahmen des Netzwerktreffens konnten wir gemeinsam mit den Teilnehmer*innen innovative Ideen und Lösungen für Herausforderungen entwickeln und beantworten. Stichpunkt Netzwerken: Das stand für alle teilnehmenden Schulen ganz oben auf der Liste der Wünsche und Erwartungen an unsere Veranstaltung, die genau dafür Raum und Zeit bieten sollte.
Erwartungen an das Netzwerktreffen
Zentrale Fragen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden sowie Hilfestellung bei der inklusiven Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung wollten die Teilnehmer*innen gemeinsam diskutieren. Schnell wurde deutlich, dass Inklusion ein Menschenbild voraussetzt, das man nicht einfach „überstülpen“ kann. Es ist eine Haltung mit der sich alle an und in Schule Beteiligten – die Schule, das Kollegium, die Elternschaft und natürlich die Schüler*innen – identifizieren und wohlfühlen sollen. Aber wie machen wir uns auf den richtigen Weg hin zu einer inklusiven Schule, die jede und jeden auf ihrem/seinen Weg abholt und mitnimmt? Was für Erfahrungen haben die Teilnehmer*innen mit den verschiedenen Schulformen? Diese und andere praxisnahe Fragen wie „wie geht Inklusion nach der Grundschule erfolgreich weiter?“ wurden gemeinsam definiert und in den zwei Tagen diskutiert.
Führung und Hospitation an der Mira-Lobe-Schule
Der erste Tag des Netzwerktreffens startete im Hanns-Lilje-Haus mitten in der Altstadt von Hannover. Nach einem kurzen Warm-up ging es zur Mira-Lobe-Schule nach Hannover-Mittelfeld, wo Zeit für Hospitationen sowie eine Schulführung geplant war. Die Mira-Lobe-Schule in diakonischer Trägerschaft ist mit einem Grund-, Förder- und Oberschulzweig eine staatlich anerkannte Ersatzschule. Hervorgegangen aus einer reinen Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung der Klassen 1-10, steht sie nun auch Schüler*innen ohne Beeinträchtigung offen. Durch die enge Verzahnung der drei Schulzweige ist dem Mira-Lobe-Team eine kompetenzorientierte pädagogische Arbeit in multiprofessionellen Teams möglich. Nach Ankunft in der Schule hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, in Zweiergruppen eine Schulstunde in einer inklusiven Grund- oder Oberschulklasse zu hospitieren – Inklusion in der Praxis. Eine anschließende Schulführung durch die Schulleiterin Frau Töllner und die Leiterin des Grundschulzweigs, Frau Ueberschar, brachte weitere Informationen und Geschichten rund um die Schule. Überrascht waren die Gäste von der Weitläufigkeit und der durchdachten Architektur des Schulgeländes, aber auch von Themen, die eher zufällig am Rande beobachtet werden konnten. So sorgte der Besuch eines mobilen sozialen Tierdienstes, der gerade mit einigen Schafen eine Klasse an der Schule besucht hatte, für einiges Aufsehen und Schmunzeln. Fokus Netzwerken: Beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen mit Lehrkräften und Mitarbeitenden der drei Schulzweige konnten die fachlichen Eindrücke des Vormittags gemeinsam vertieft werden.
Vorstellung der Grundschule „Op de Host“
Praxisnah ging es für die Teilnehmenden des Netzwerktreffens am Nachmittag weiter: Zurück im Hanns-Lilje-Haus stellte Aenne Thurau, Leiterin der Grundschule „Op de Host“, ihre Schule vor. In einem zweistündigen Vortrag mit anschließender Diskussion nahm Frau Thurau die Anwesenden mit auf ihren Weg zur inklusiven Schule. Die Grundschule, die von knapp 200 Kindern besucht wird, liegt in der Gemeinde Horst in Schleswig-Holstein und ist eine staatliche Grundschule. Der Weg der Schule zur Inklusion begann 2006 mit einer ersten Etablierung von individualisiertem Lernen. 2009 wurden die ersten jahrgangübergreifenden „Ü-Klassen“ eingeführt – damals zunächst nur für die ersten und zweiten Klassen. In 2010 folgten dann die dritten und vierten Klassen und seit 2014 sind schließlich alle Klassen der Grundschule „Op de Host“ jahrgangsübergreifend gestaltet.
Individualisiertes Lernen wird in Horst groß geschrieben: Die Schule beschult 196 Kinder ganz individuell. Jedes Kind hat seinen/ihren eigenen Lernplan, nach dem es seine/ihre Grundschulzeit ganz individuell durchläuft. Da liegt es nur nahe, dass ein herkömmliches Notensystem in Absprache mit der Elternschaft schon vor Jahren gänzlich abgeschafft wurde.
Der Vortrag mit anschließender Diskussion bot allen Teilnehmenden die Möglichkeit, innovative Ideen und Lösungen für Herausforderungen gemeinsam zu denken und zu entwickeln. Er gab deutliche Impulse zu innovativen Arbeitsweisen, aber auch zu den Grenzen von Inklusion. Vor allem aber verdeutlichte er allen das Wichtigste bei einer inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung: Alle mit auf den gemeinsamen Weg zu nehmen. Um eine Schule zu gestalten, in der sich alle wohl fühlen – die Kinder, das Kollegium und die Elternschaft.
Die nächsten Schritte zur Inklusion
Am zweiten Tag des Netzwerktreffens folgte eine intensive Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit ihrem Inklusionsverständnis und mit besonderen Herausforderungen in ihrer jeweiligen Schulsituation. Dies insbesondere mit dem Blick auf Inklusion und auf das Inklusionsverständnis. Besonders wertvoll war für alle Teilnehmenden die Beobachtungen und Erkenntnisse aus dem Vortag mit in die eigene Schulsituation zu nehmen. Individuelle Fragen konnten erarbeitet und beantwortet werden: Wo stehen wir mit unserer Schule? Was wollen wir anders machen, um inklusiver und nachhaltiger zu arbeiten? Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Praktiken, sowohl landeskirchenübergreifend als auch in der Auseinandersetzung zwischen staatlichem und privatem System, haben dabei zu spannenden Erkenntnissen geführt.
Die Herausforderung, Inklusion zu entwickeln und die Notwendigkeit nach politischen und systemischen Entscheidungen jenseits der Arbeit der Einzelschule wurde dabei noch einmal sehr plastisch deutlich.