Wir haben mit Manfred Roß, dem früheren Geschäftsführer der Evangelischen Schulstiftung in Bayern, über die Anfangsjahre der ESS EKD und über bewegende Momente gesprochen, die einem im Gedächtnis bleiben.
Geschichten und Anekdoten aus 30 Jahren Evangelische Schulstiftung in der EKD kann Manfred Roß viele erzählen. Gehörte er doch mit Dr. Jürgen Bohne zu den „Gründervätern“ der Stiftung. Alles begann 1993, also ein knappes Jahr vor der eigentlichen Gründung der ESS EKD: Manfred Roß hatte gerade als Finanzreferent in Nürnberg bei der Evangelischen Schulstiftung in Bayern begonnen, als Dr. Bohne ihn ansprach und spontan auf eine Dienstreise nach Dresden einlud. Hier wurden sie von engagierten Eltern und Pädagog*innen erwartet, die selbst eine Schule in evangelischer Trägerschaft gründen wollten, dabei jedoch tatkräftige Hilfe benötigten.
Herr Roß, diese Fahrt 1993 nach Dresden war der Beginn zahlreicher Reisen für die spätere Evangelische Schulstiftung in der EKD und läutete eine wahre Gründungswelle evangelischer Schulen ein. Wie gestaltete sich Ihr erstes gemeinsames Projekt mit Dr. Jürgen Bohne und wie können wir uns den damaligen Zeitgeist, was das evangelische Schulwesen angeht, vorstellen?
Tatsächlich war diese Fahrt etwas ganz Besonderes! Dr. Bohne und ich besprachen im Auto auf dem Weg nach Dresden verschiedene Varianten, wie wir der Initiative helfen könnten. Nach Ankunft informierte uns dann der Vereinsvorsitzende in seinem Wohnzimmer über den Stand des Projekts. Die „kurzen Dienstwege“ und unsere Hilfe waren jedoch erfolgreich: Im September des gleichen Jahres konnten Dr. Bohne und ich tatsächlich die Eröffnung dieser Grundschule mitfeiern. Das Besondere hierbei war ja, dass die Eltern sich auf das Abenteuer einlassen mussten, ihre Kinder im Frühjahr verbindlich zu einer Schule anzumelden, die noch gar nicht existierte und für die es auch noch keine Genehmigung gab.
Rückblickend kann ich sagen, dass das Jahr 1993 geprägt war durch eine fröhliche Aufbruchsstimmung. Eine Stimmung, in der nicht der Blick auf fehlende Ressourcen oder Genehmigungen, sondern der vertrauensvolle Blick auf die Möglichkeiten der Menschen, denen ich begegnet bin, geprägt hat. Irgendwie war allen bewusst: Wenn uns diese Gründung gelingt, ist es ein Wunder! Auf dieses Wunder haben dann alle vertraut und es ist geschenkt worden.
Wie kam es dann im weiteren Verlauf 1994 zur Gründung der Evangelischen Schulstiftung in der EKD und welche Rolle spielten Sie dabei?
Nach den beiden erfolgreichen Schulneugründungen in Dresden und Gotha war schnell klar, dass diese Schulen noch weitere Unterstützung benötigten. Gleichzeitig standen auf unserer Türschwelle zahlreiche Anfragen für weitere Neugründungsinitiativen. Klar war auch, dass diese Unterstützung keine kontinuierliche Aufgabe der Evangelischen Schulstiftung in Bayern sein konnte – dies war die Geburtsstunde der Evangelischen Schulstiftung in der EKD, nach deren Gründung ich die Aufgabe des Finanzreferenten übertragen bekam. Meine erste Erinnerung daran ist der bedeutsame Moment, als die erste Summe an Stiftungskapital auf dem eingerichteten Konto einging. Ich lotete aus, wie dieses Stiftungskapital vorläufig schon einmal angelegt werden könne. Im Jahr 1994 waren Mobiltelefone noch rar und ich erinnere noch die Telefonzelle in Ansbach, in der ich auf einer Dienstreise das abschließende Telefonat dazu mit der Bank geführt habe…
Die 1990er Jahre waren ein wahrer Gründungsmarathon von Schulen in evangelischer Trägerschaft. Sie haben da mit einem ziemlich kleinen Team ein sehr großes Rad bewegt – wie sah Ihre Arbeit in der Stiftung und mit den (angehenden) Schulen konkret aus?
Ach wissen Sie, in dieser Zeit haben wir einfach das gemacht, was uns vor die Füße gelegt wurde und erfolgversprechend ausgesehen hat. Wie groß das Rad geworden ist, haben wir erst später gemerkt. Unsere wichtigste Aufgabe war, den neu gegründeten Schulen finanzielle Unterstützung anzubieten. Ohne diese finanziellen Zusagen der ESS EKD wären viele der Schulneugründungen zum damaligen Zeitpunkt nicht zustande gekommen.
Zusätzlich zur finanziellen Unterstützung wollten wir den neuen Schulen in ihrer Anfangszeit den Rücken für ihre wichtigste Aufgabe freihalten: Guten Unterricht für Schüler*innen zu gestalten. Daher verwalteten wir in den ersten Monaten nach Gründung die Bereiche Finanzen und Personal für die Schulen mit. Ich erinnere mich hier an zahlreiche Budgets, die ich für die Schulen erstellt habe. Insbesondere die Kalkulation der staatlichen Zuschüsse war in der Anfangszeit herausfordernd, weil in manchen der damals neuen Länder noch keine Gesetze über die Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft bestanden. Sie können sich vorstellen, dass all diese Tätigkeiten für eine Person bald nicht mehr zu machen waren – ein Team in der Geschäftsstelle musste her…
Das klingt nach einer bewegenden und sehr inspirierenden Zeit. Welche „Geschichten“ und Situationen rufen Ihnen bis heute ein Schmunzeln ins Gesicht?
Manche Schulräume, die in Betracht gezogen wurden, waren Ursache für ein „nachdenkliches“ Lächeln. Aber anfänglich war in der Not oft nichts anderes zu finden. Allerdings gab es nach einiger Zeit meist sehr gute Lösungen. Ein Beispiel ist der Umbau der vorherigen russischen Kaserne in Jena, dessen frische Farben beim Vorbeifahren mit dem ICE einige Male dafür gesorgt haben, dass ich wahrgenommen habe, was hier tatsächlich für Wunder zu bestaunen sind. Inzwischen habe ich davon mehrere gesehen. Geschmunzelt haben wir auch, wenn wir gemerkt haben, für welche Menschen Kirche plötzlich interessant wurde, weil sie Freiräume eröffnete und Mitgestaltung für die Kinder ermöglichte.
Gibt es Orte von Ihren zahlreichen Reisen für die ESS EKD, an die Sie auch nach 3 Jahrzehnten immer wieder gern zurückdenken oder zurückkehren?
Da gibt es viele Begegnungen! Besonders eindrücklich waren die Gespräche bei privaten Übernachtungen, z.B. in Pfarrhäusern: Ein langes Gespräch weit über Mitternacht hinaus bei einem späten Abendessen oder ein Chorfest im Pfarrgarten. Aber auch der Bericht einer Vereinsvorsitzenden bei einer Autofahrt, wie sie vor der Wende bei den Fahrten zu den Demonstrationen die Kinder in Sicherheit gebracht haben. Das alles waren Begegnungen, die sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt haben.
Herr Roß, Sie waren und sind mit Ihrer Arbeit immer ein Visionär und Vorreiter von evangelischer Schule gewesen. Hat sich Ihre Vision von guter, evangelischer Schule über 30 Jahre hinweg verändert?
Nach meiner Wahrnehmung war ich eher derjenige, der den Visionär*innen versucht hat zu helfen, die Herausforderungen zu lösen. Ein Macher, damit die Vision Wirklichkeit werden konnte. Dabei sind sicher erst einmal bei den Visionären manche Träume geplatzt. Aber das Ergebnis, dass es so viele Schulen geworden sind, die mit Begleitung der Evangelischen Schulstiftung in der EKD gegründet wurden, zeigt aus meiner Sicht, dass beide nötig sind: die Visionäre und die Rechner!
Für mich hat sich bei den Begegnungen in neu gegründeten Schulen oft gezeigt, wie wichtig diese Schulen für die Kinder sind. Gute Schule kann ich immer dort erkennen, wo ich den Eindruck habe, dass Schüler*innen mit ihren Begabungen ernst genommen und in diesen gefördert werden. Bei einem Jubiläum vor ein paar Wochen ist mir wieder einmal deutlich geworden, mit welchem Selbstbewusstsein Kinder, die so unterstützt werden, dann z.B. auf einer Bühne ganz natürliche Präsenz zeigen können.
Meine Vision von guter evangelischer Schule hat sich erst durch solche Begegnungen entwickelt. Eine gute evangelische Schule sehe ich dann, wenn der in der Schule konkret wahrnehmbare und gelebte Zuspruch der Liebe Gottes in den Kindern ihre Begabungen hervorbringt. Und sie die Erfahrung machen, diese Begabung leben zu können und dann ihren Platz zu finden.