Gemeinsam neue, inklusive Ideen für Schulen (er-) finden: Im Oktober 2023 startete unser Schulentwicklungsprojekt „Wegbereitys der Inklusion“. Drei Schulen des Schulwerks der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover machten sich mit uns auf den Weg, um Projekte zu identifizieren und zu entwickeln, die Inklusion an den jeweiligen Schulen unterstützen. Das Besondere an dem Programm der „Wegbereitys“ ist der partizipative Fokus: Dieser liegt bei allen Projekten darauf, Schüler*innen in die Auswahl, Durchführung und Evaluation maßgeblich einzubinden. Wir sind überzeugt davon, dass die Schüler*innenperspektive dabei hilft, adressatengerechte Lösungen und neue Ideen für Schulen zu (er-) finden und dies auch langfristig auf das Selbstverständnis der Schule und ihre Entscheidungsprozesse wirkt. Zu Beginn des Jahres fand der zweite gemeinsame Fachtag der drei Schulen Evangelische Waldschule Eichelkamp, Evangelische IGS Wunstorf und Paul-Gerhardt-Schule Dassel an der Waldschule Eichelkamp in Wolfsburg statt. Im Fokus für die 22 Teilnehmenden, die sich aus 12 Lehrpersonen und 10 Schüler*innen der Jahrgangsstufen 4-11 zusammensetzten, stand die Arbeit an ihren jeweiligen Inklusionsprojekten.
Was bedeutet Inklusion?
Antworten auf diese Frage gab zum Einstieg in den Fachtag ein Podcast von Schüler*innen der Waldschule Eichelkamp, der die Sicht von Grundschüler*innen auf dieses komplexe Themenfeld erfrischend und kindgerecht widerspiegelte. „Dass man anderen hilft, wenn sie nicht allein weiterkommen.“ Oder „jede*r ist besonders, jede*r kann etwas anderes toll und das ist auch gut so“ waren hier beispielhafte Antworten.
Das gegenseitige Verständnis schärfen
Schüler*innen haben andere Bedürfnisse und eine andere Sicht auf viele Themen als ihre Lehrkräfte und/oder Schulleitungen: Diese Erkenntnis zog sich wie ein roter Faden durch den Fachtag. Um das gegenseitige Rollenverständnis zu schärfen und den Blick für das Gegenüber zu sensibilisieren, bediente sich Moderatorin Kati Ahl verschiedener aktivierender Übungen. So erklärten die Erwachsenen den Schüler*innen in einer Gruppenarbeit komplexe Begrifflichkeiten wie Behinderung, Vielfalt, Normalität oder Menschenrechte. Als Essenz malten oder schrieben die Kinder und Jugendliche jeweils drei zentrale Stichpunkte pro Begriff auf, die sie aus den Erklärungen der Erwachsenen abgeleitet hatten. Die Ergebnisse hielten allen Teilnehmenden vor Augen, dass sie immer wieder neu auf das Thema Inklusion blicken sollten. Am besten in einem Prozess des Voneinander- und Miteinanderlernens.
Kati Ahl, Bildungsexpertin, Autorin und Schulentwicklungsberaterin der Initiative Neues Lernen e.V. begleitet die „Wegbereitys der Inklusion“ inhaltlich. Sie ist ehemalige Lehrerin und Schulleiterin und hat daher selbst breite Erfahrung zum Thema Inklusion.
Problemfokus herstellen
Um einen individuellen Problemfokus herzustellen, arbeiteten die Wegbereitys innerhalb ihres jeweiligen Schulteams – allerdings nach Lehrpersonen und Schüler*innen getrennt. Die Aufgabe war ein Visual Talk, also ein Comic: „Zeichnet das Problem an eurer Schule in 3-5 Comicbildern. Stellt den Comic vor und tauscht euch dazu aus.“ Die Herausforderung bestand darin, sich innerhalb der eigenen Gruppe auf ein Hauptproblem zu einigen, an dem die Gruppe in den nächsten 6 Monaten arbeiten möchte. Auch bei dieser Übung machten sich die Unterschiede in der Lehrer*innen/Schüler*innensicht bemerkbar. Die Lehrpersonen definierten eher Lehrsituationen oder Prozesse als Inklusionsproblem, wohingegen der Fokus bei den Schüler*innen auf Ausgrenzung untereinander oder Barrierefreiheit lag. Die Entwicklungsaufgabe für den kommenden Prozess wird nun darin liegen, diese beiden Sichtweisen miteinander zu verbinden und gemeinsame Lösungsansätze zu entwickeln. Gerade dieser Schritt erweist sich als eine große Stärke der „Wegbereitys der Inklusion“ und ermöglicht Veränderungen im Binnenverhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrkräften und in der Idee, woran sich Schule inhaltlich ausrichten und wie dabei die wertvolle Perspektive der Lernenden stärker aufgegriffen werden kann.
Lösungsideen am Beispiel der Paul-Gerhardt-Schule Dassel
Die drei Projekte, die an den Schulen aktuell entstehen oder weiterentwickelt werden, sind sehr unterschiedlich und zeigen die verschiedensten Perspektiven, die ein inklusiver Blick auf Schule mit sich bringen kann. Exemplarisch stellen wir hier die Idee des Evangelischen Gymnasiums in Dassel vor:
Aus Sicht der Lehrenden definiert sich die besondere Herausforderung an der Paul-Gerhardt-Schule dadurch, dass die inklusiven Unterrichtstrukturen noch nicht ausreichend entwickelt und etabliert sind. Daher werden in den verschiedenen Klassen sehr unterschiedliche Schwierigkeiten benannt, die von allgemeinen Unterrichtsstörungen bis zu spezifischen Lernblockaden reichen. Um auf kreative Lösungsideen zu kommen, stellte Kati Ahl der Gruppe zunächst die Frage: „Was müsst ihr tun, um das Problem zu verschlimmern?“ Erst in einem zweiten Schritt formulierten die Lehrkräfte aus Dassel ihre konkreten Lösungsideen, die alle darauf abzielten, sich und dem Kollegium zu „erlauben“, Schule mal ganz anders als gewohnt zu definieren. Zum Beispiel unterschiedliche Lerntempi innerhalb einer Klasse zuzulassen oder auch einen gezielten Perspektivwechsel im Kollegium einzunehmen. Die Schüler*innen der Paul-Gerhardt-Schule haben getrennt davon ihre Ergebnisse erarbeitet und formulierten die Schlagworte: kleinere Klassen, mehr Breakout-Rooms und „Klasse statt Masse“.
Perspektivwechsel für mehr Empathie
Den Nachmittag des Fachtags nutzte Kati Ahl für eine Präsentation der Lösungsideen. Wichtig war ihr hierbei, dass Schüler*innen und Lehrer*innen dies getrennt voneinander taten. „Nur so kommt die Schüler*innenperspektive besser und ungestörter/ ungefiltert“ heraus“, so Ahl. Lehrkräfte und alle anderen Erwachsene werden so in die Situation versetzt, den Schüler*innen gut zuzuhören und Ideen nicht gleich zu verwerfen oder kritisch auf ihre Machbarkeit zu prüfen. Ein Perspektivwechsel ermöglicht ihnen mehr Empathie und Verständnis für den Blick der Schüle*innen. So profitieren am Ende beide Seiten von gemeinsamen und separaten Phasen, da die Zusammenarbeit der Generationen etwas Übung braucht. Eine Einigung und Definition der konkreten Umsetzungsschritte und Meilensteine bis zum nächsten persönlichen Fachtag der Wegbereitys im Mai an der Evangelischen IGS Wunstorf bildeten den Abschluss dieses intensiven Tages.